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WoZ, Nr. 24, 12. Juni 2003, Seite 18

Zum aktuellen Entwurf des Kulturfördergesetzes

Die magere neue Bundeskultur

Die Entwicklung bei Pro Helvetia und der Entwurf zum neuen Kulturfördergesetz weisen in die gleiche Richtung: die demokratischen Prozesse sollen abgebaut werden.

MATHIAS KNAUER

Nachdem der Bund mit der neuen Verfassung (Art. 69) nun im Bereich der Kultur eine geschriebene - wenn auch beschränkte - Kompetenz erhalten hat, leitete das Departement Ende 2001 die Arbeiten für ein Kulturfördergesetz (KFG) ein, das ihm dafür Ziele und Zwecke setzen soll. Seitdem arbeitet das Bundesamt für Kultur (Bak) unter Aufsicht einer Steuergruppe am Entwurf für ein solches Gesetz; im vergangenen Herbst lag ein erster Vorentwurf vor. 

Bei dessen Ausarbeitung hatten die Kulturleute ziemlich wenig zu sagen. Schon bei der Steuergruppe war erst ganz zuletzt an eine Vertretung der Künstler und Kulturschaffenden gedacht worden. Man lud einen bekannten Komponisten ein, der aber bald das Handtuch warf: Es wurde klar, dass nicht wirklich ein Mitgestalten erwünscht war, bloss die Einbindung ins Verfahren, um spätere Opposition zu vermeiden. Seitdem hat Isabelle Mili, Direktorin der Hochschule für Musik und Theater Biel, heroisch versucht, die Bedürfnisse der Künste einzubringen, informell gestützt von engagierten Kulturschaffenden.

Der anfänglich substantielle und mutige Entwurf ist, wie mitgeteilt "nach Rücksprache mit dem Bundesamt für Justiz", zum dürren Rahmengesetz schrumpfgetrocknet worden. Statt Perspektiven aufzureissen, schlägt uns aus dem aktuellen Entwurf jetzt ein Geruch verstockter Bürokratie entgegen. 19 mal erscheint der Begriff "Massnahme" ("Pro Helvetia obliegt die Durchführung der Massnahmen nach Art. soundso..."); acht mal findet sich noch das Wort Kunst mit allen seinen Ableitungen.

Träger Schweizer Gesetzgebungsprozess

Schweizer Gesetze leben überaus lang. Während in der BRD etwa alle fünf Jahre ein neues Filmgesetz aufgelegt wird, muss ein solches bei uns vielleicht 20 Jahre halten. Die Versuchung ist daher gross, Gesetze zu entstofflichen und zu reinen gesetzesmechanischen Stellwerken zu machen, damit Exekutive und Verwaltung freie Hand bekommen, mit kurzlebigen Verordnungen und "Förderkonzepten" zu regieren. 

In einem delikaten Bereich wie dem der Kultur und der Künste kann es aber auf Dauer nicht gut gehen, wenn dem Gesetzgeber die Diskussion über Grundsätze entzogen wird, wenn heikle Punkte immer öfter am Parlament vorbei in die öffentlich kaum diskutierten Verordnungen versteckt werden, zu denen man nur noch Organe der Betroffenen "anhört" - um zu sondieren, ob sie opponieren werden oder schlafen, wenn es ihnen an die Haut geht.

Der Schreibende konnte miterleben, wie unter Dreifuss eine Reform der Pro Helvetia (PH) nicht - nach einem systematischen Denkprozess - mit der Neuformulierung des PH-Gesetzes, sondern mit reglementarischen Winkelzügen erreicht werden sollte. Wie soll so das Parlament, wie soll erst das Volk von einer solchen Konzeption überzeugt werden oder wenigstens mehrheitlich dazu stehen können? 

Dem Entwurf bleibt nach der Ausdünnung das Verzeichnis der bisherigen Aktivitäten, die der Bund künftig auf sauberer Gesetzesbasis fortsetzen darf; und der Versuch, das Departement/Bak zur Gängelzentrale zu machen: um, je nach politischer Wetterlage, etwa bei der Kulturstiftung Pro Helvetia per "Förderkonzept" Abmagerungskuren oder die Mästung imagefördernder Exportschlager anzuordnen. Es sei denn, das Pro-Helvetia-Gesetz, von dem man, obwohl es für die Kulturförderung zentral ist, nicht einmal den Umriss kennt, würde hier noch ein mächtiges Gegengewicht schaffen.

Die öffentlichrechtliche Kulturstiftung Pro Helvetia wurde errichtet, um die Förderung der Künste vom direkten Einfluss des Staates abzuschirmen. Dies aus alter staatsmännischer Weisheit, die Konservative und die demokratische Linke immer teilten: "Je unabhängiger und freier vom Staat wir die Stiftung gewähren lassen, desto fruchtbarer wird sie im In- und Ausland ihre Mission erfüllen können. Je näher wir sie aber an den Staat herannehmen und durch den Staat umarmen wollen, desto ärmer würde sie in der Kraft ihrer geistigen Befruchtungs- und Ausstrahlungsmöglichkeit. Die Stiftung ... lehnt den Gedanken einer zentral geleiteten Einheitskultur ab. Und das soll auch in Zukunft so bleiben." (Bundesrat Philipp Etter, 1938).

Wahres Fördern ist ein diskretes Dienen 

Heute droht weniger eine staatliche, vielmehr die staatlich gestützte, marktgeborene Einheitskultur, die nur überleben lässt, was als "Event" Krach oder was sonstwie von sich reden macht: nicht was Kennern und Künstlern dient, sondern was die Karrieren der Fördermanager fördert wird ins Rennen geschickt.

Um die Künste vor Willkür oder Klientelismus der Funktionäre zu bewahren, und zumal vor Moden oder vor Ansinnen der Politik, ist heute der Stiftungsrat der PH eingesetzt, der sich alle vier Jahre mindestens zu einem Drittel erneuert: er betreibt und überwacht in Fachgruppen die Förderung und garantiert deren Abstützung in den Sparten und Regionen.

Nun hören wir: der gegenwärtige Direktor Knüsel möchte diese bestimmende Rolle im künftigen PH-Gesetz abschaffen. Dahinter steckt ein Intendanz-Modell: ein Direktor wird auf einige Jahre gewählt und soll nach Gutdünken schalten und walten; der Stiftungsrat würde diesen Direktor ein- und ersetzen, und er legitimierte gerade noch Abrechnung und Budget. Was aber bei lokalen Institutionen, etwa Theatern, die unter einander in Konkurrenz stehen, sinnvoll sein kann, kann bei einer "monopolen" nationalen Kulturstiftung keinesfalls angehen. Weh sonst jenen, die nicht in der Intendantengunst stünden: sie müssten auswandern oder hungernd auf den Regimewechsel warten.

Abbau der demokratischen Prozesse

Ein weiteres Anzeichen für das Überhandnehmen solcher Mentalität ist, dass aus dem aktuellen KFG-Entwurf die vorgesehene Kulturkommission gestrichen ist. Das Amt dürfte (sollte es sich einmal nicht zuständig fühlen) wohl Experten beiziehen - aber eben nicht durch Wahl legitimierte, wie es nach unserem Demokratieverständnis bisher selbstverständlich war.

Wer wird denn in Zukunft eine schweizerische Kulturpolitik, die Instrumentarien für das Wohlleben unserer Kultur entwickeln - die Verordnungen, Reglemente, die Förderkonzepte -, wenn nicht Gremien aus erfahrenen und unabhängigen Köpfen, die in künstlerischen, kulturellen und historischen Begriffen zu denken verstehen, und die repräsentativ das kulturelle Walten von Departement und Ämtern kritisch begleiten?

Wenn sich die Kulturakteure und ihre gewachsenen Institutionen nicht rasch und dezidiert zu Wort melden und ihre Vertreter/innen in diesem Prozeß stützen, könnten die Chancen, die das Kulturfördergesetz und ein neues PH-Gesetz bieten, bald verspielt sein.

 


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