ASSOCIATION SUISSE DES RÉALISATRICES ET RÉALISATEURS DE FILMS
VERBAND SCHWEIZERISCHER FILMGESTALTERINNEN UND FILMGESTALTER

Zu einigen Fragen der Schweizer Filmkultur
und zur Filmpolitik am Ende unseres Jahrhunderts

Beitrag zum Weißbuch der Eidgenössischen Filmkommission (Ende März 1994)

I. Ausgangspunkte

II. Die herbeigeredete Krise und das Bedürfnis nach »Neue Wegen«

III. Gründe für die Förderung des Filmes durch die Öffentliche Hand

IV. Zielsetzungen für die Schweizer Filmförderung

V. Methoden der Förderung

VI. Internationale Koproduktionen

VII. Zu Fragen der Verleih- und Abspielförderung

VIII. Grundsätzliche Fragen zu Subventionen unter dem Filmgesetz (Exkurs zur rechtlichen Problematik »automatischer« Förderungen)

IX. Neue Konzepte für die Gestaltung der EFK und der Ausschüsse

X. Das Fernsehen im System der Schweizer Filmförderung

 

I. Ausgangspunkte

Bisherige Förderung der Filmproduktion

Der Bund fördert auf Grund von BV Artikel 27, des Filmgesetzes und der dazugehörenden Verordnung zur Zeit die Produktion wertvoller Filme, indem er auf Grund von Gesuchen

• Beiträge ausrichtet an die Herstellungskosten von Drehbüchern

• Herstellungsbeiträge ausrichtet an Filmproduktionen auf Grund einer Drehvorlage, dem Nachweis der vollständigen Finanzierung und der Vorbereitung der Produktion im Sinne des Gesuches

außerdem

• durch Prämierung von herausragenden Filmen, wobei die Prämien zur Weiterführung der Produktions- oder Projektentwicklungsarbeit zu verwenden sind.

Zudem fördert der Bund die Filmkultur durch verschiedene weitere und flankierende Maßnahmen (Verleihförderung, Marketing, Filmzentrum, Festivals, Cinémathèque, Zeitschriften usw.).

Seit dem Filmgesetz von 1962 ist die Filmförderung ständig ausgebaut worden. Treibende Kraft waren immer wieder die Filmemacher selber, so bei der Lobbyarbeit im Parlament oder beim Kampf für den Direktverleih von Schweizer Filmen (gegen das Filmkartell) oder Anfang der 80er Jahre für das 1985 abgeschlossene Rahmenabkommen mit dem Fernsehen.

So ist im Laufe der Jahre ein breites Spektrum von Filmen unterstützt worden; der Schweizer Film hat einen großen Aufschwung erlebt und internationale Anerkennung gefunden – eine Entwicklung an Zahl und künstlerischer Potenz, mit welcher der Ausbau der Filmförderung nicht Schritt zu halten vermochte.

 

Hohe Anerkennung des Schweizer Films

Zumal der Dokumentarfilm hat mit ethnographischen und sozialpolitisch bedeutungsvollen Arbeiten wesentliche Beiträge zur Erkenntnis über unsere politischen und kulturellen Zusammenhänge geleistet und ist denn auch im Ausland mit höchster Anerkennung aufgenommen worden.

In letzter Zeit hat sich unser Dokumentarfilm auch im Kino eine gute Position erobert. Erfolge wie Chronique Paysanne, Der grüne Berg, Palaver, Palaver, eriat, Die bösen Buben, mit über 20 000 Zuschauern in Kinos und im Circuit Parallel – nicht zu reden vom Kongreß der Pinguine mit 70 000 Eintritten allein in der deutschen Schweiz – zeigen, daß sich die jahrelangen Anstrengungen unabhängiger Verleiher wie Filmcooperative und Look Now! auszuzahlen beginnen und daß keineswegs, wie immer wieder behauptet wird, am Zuschauer vorbeiproduziert wird.

Nicht zu vergessen ist, daß gerade der Dokumentarfilm oft während Jahren regelmäßig verliehen wird und sich damit im Laufe der Zeit beachtliche Zuschauerzahlen akkumulieren, die statistisch meistens nicht erfaßt werden (so beispielsweise Wir Bergler in den Bergen..., Behinderte Liebe, Kaiseraugst, Unsere Eltern haben den Ausweis C, gar nicht zu reden von Ursula oder das unwerte Leben, Bananera Libertad oder Beton-Fluss).

Auch der Schweizer Spielfilm genießt internationales Ansehen. Daß er in den letzten Jahren wenig Preise an wichtigen Festivals holte, ist nicht Zeichen von Bedeutungslosigkeit, sondern eher Ausdruck seines Eigensinns und der weniger rüden Schweizer Geschäftsmethoden. Die Zahl der auch kommerziell erfolgreichen Filme (in letzter Zeit Höhenfeuer, Leo Sonnyboy, Reise der Hoffnung, Anna Göldin, Der Kongreß der Pinguine, AnnaAnna, Le petit prince a dit u.a.) steht in einem guten Verhältnis zur Zahl der Produktionen.

 

Filmemacher als Autoren/Produzenten – die typische Produktionsweise in der Schweiz

Wie der Dokumentarfilm ist auch der Schweizer Spielfilm bis heute überwiegend manufakturell hergestellt worden. Auch wo Produktionsfirmen wie citel oder condor im Spiel waren, erbringen regelmäßig einen wesentlichen Teil der unternehmerischen Leistung die Autoren: Ohne ihre Initiativen und ihre Vorleistungen wäre kaum eines der wichtigeren Filmwerke entstanden.

Der Produzent im klassischen Sinne, der mit Visionen und auf eigenes Risiko einen Stoff aufgreift, und diesen, unter Umständen nach Jahren der Suche nach dem richtigen Regisseur, den richtigen Schauspielern und einer Finanzierung, realisiert, fehlt in der Schweiz traditionell oder ist die Ausnahme.

Ein Großteil unserer Produzenten hat sich vom Beruf des Aufnahmeleiters zur Dienstleistungsfirma und zum Vermittler von Subventionsgeldern entwickelt, ohne gleichzeitig jene unternehmerische Potenz und Innovationskraft zu entwickeln, die unsere Filmproduktion auf eine höhere Stufe stellen könnte. Denn eine eigentliche Filmindustrie kann sich in der Schweiz – und erst recht nicht nach dem Aufkommen des Fernsehens, das in der Schweiz nur 20 Millionen Franken an Auftragsproduktionen vergibt – nicht entwickeln.

Daß in den letzten Jahren im Zuge dieser Art »Professionalisierung« die Qualität und Ausstrahlungskraft der Schweizer Produktion entscheidend zugenommen hätte, kann nicht behauptet werden.

 

II. Die herbeigeredete Krise und das Bedürfnis nach »Neue Wegen«

Europaweit ging in den letzten zwei Jahrzehnten der Kinokonsum ein weiteres Mal auf fast die Hälfte zurück: in der Schweiz von 1969 bis 1992 von 33 auf 14 Millionen Eintritte (d. h. auf 42%). Nach einem großen Aufschwung Mitte der siebziger Jahre bildeten sich auch die Aktivitäten des Circuit Parallel zurück. Diese Entwicklung ist aber nicht das Resultat einer ungenügenden Filmförderung, sondern widerspiegelt Änderungen im Freizeitverhalten und in der politischen Kultur.

Indessen: die Schweizer sind nach wie vor intensive Kinogänger: unser Land liegt mit 2,2 Kinobesuchen pro Kopf und Jahr zusammen mit Frankreich in Europa an der Spitze. Die zunehmenden Kinoerfolge etwa von Schweizer Dokumentarfilmen (zur Zeit Der Kongreß der Pinguine) verdienen auf diesem Hintergrund besondere Beachtung.

Im Zuge des allgemeinen Geredes von der angeblich brüchig gewordenen Legitimation der Künste; bei den Tendenzen, traditionelle Leistungen der öffentlichen Hand an Private abzuschieben (Sponsoring beim Opernhaus Zürich und dergleichen), öffentliche Kulturinstitute zu privatisieren (siehe die Entwicklung beim Schweizer Fernsehen), wurde in den vergangenen Jahren immer wieder die Effizienz der Schweizer Filmförderung in Frage gestellt.

Am deutlichsten äußerte sich das vor zwei Jahren, als Entwürfe für eine Produzenten- und Audiovisionsförderung in die Diskussion geworfen wurden (Zeender/Defago/LA der EFK). Dabei sollten – unter den Vorzeichen der Deregulierungsmode – wesentliche Fördermittel an einige wenige Filmunternehmer verteilt werden, um die Kontrolle über die künstlerische Qualität der Projekte zu lockern. Gleiches gilt für die Ideen, die für eine Förderung von Fernseh-Auftragsproduktionen (einschließlich Serien) ausgeheckt wurden, und die auf eine verkappte Förderung von Fernsehfilmen durch den Bund hinausgelaufen wären.

Einige wirkliche Probleme

Tatsächlich befinden sich die Filmkultur und die Filmförderung aus einer Reihe von Gründen in einer schwierigen Lage, die zu analysieren wäre, statt daß durch jährlich wechselnde Quacksalbereien und Herumprobieren Remedur gesucht wird.

Diese Schwierigkeiten sind kulturpolitisch

• Aushöhlung des öffentlichen Bewußtseins vom Beitrag der Künste zur Bildung – und damit als eine der Voraussetzungen für das Überleben der Gesellschaft und der Volkswirtschaften;

• Privatisierungs- und Deregulierungs-Ideologie; Schwinden der gesellschaftlichen Solidarität und gemeinwirtschaftlichen Denkens;

• Verlagerung der Legitimation kultureller Leistungen von Qualitäts- auf Akzeptanzkriterien;

• die aktuelle Rezession und Sparmaßnahmen;

sowie filmspezifisch

• Steigende Dominanz ausländischer Großproduktionen aus industrieller Fertigung mit Millionenbudgets für Marketing und Werbung, mit denen wir schwer konkurrieren können, die aber dennoch immer wieder zu Vergleichen herangezogen werden, um unseren Filmen Erfolglosigkeit vorzuwerfen;

• Die unabhängigen Verleiher, die einzig für Verleihgarantien von Schweizer Filmen in Frage kommen, stehen seit der Aufhebung der Kontingentierung am Abgrund.

• Die Kinos sind wegen des hohen Drucks vor allem us-amerikanischer Produktionen kaum mehr bereit, für einen Schweizer Film des »Mittelfelds« oder gar einen abendfüllenden Dokumentarfilm Kinogarantien zu leisten.

• Rückgang der filmkulturellen Aktivitäten außerhalb der großen Städte, zumal der Filmclubs; allgemeiner Rückgang der Filmbildung in der Bevölkerung;

• Abbau des Service public am Fernsehen, das den Film nur benutzen, zur Filmkultur aber nichts mehr beitragen möchte. Bildung von Profit-Centers; Ersatz kulturpolitisch verantwortungsvoller Persönlichkeiten durch Manager.

und förderungstechnisch

• Zunehmende Zahl von anerkannten Filmschaffenden, und damit von Jahr zu Jahr steigende Zahl der Gesuche an die Bundesfilmförderung

• Mit wachsender Qualifikation der einzelnen Filmemacher wachsen legitimerweise auch das Kaliber ihrer Projekte und damit die Produktionskosten;

• Bedeutende Mittel des Bundes werden von Minderheits-Koproduktionen absorbiert, die mit dem Förderungszweck des Bundes nur indirekt etwas zu tun haben;

• Mit der steigenden Bedeutung der Festivals, mit dem Ausbau neuer Förderinstrumente usw. wird der Filmkredit von Jahr zu Jahr mit neuen Aufgaben belastet;

• Dazu kommen die Sparmaßnahmen des Bundes mit der linearen Kürzung aller Gelder.

• Das Fernsehen zieht sich mehr und mehr aus der Filmförderung zurück.

Für die Filmförderung ergibt sich daraus, daß der Bund je länger je mehr Projekte, deren Qualität unbestritten ist und die auch von ihren Realisierungschancen her gefördert werden sollten, wegen fehlender Mittel zurückweisen muß.

Die Tendenz, jetzt auch noch verstärkt durch die aktuelle Politik des Schweizer Fernsehens, nur noch »das Beste« zu fördern, läuft auf einen Selektionsprozeß hinaus, der die Nachwuchsförderung gefährdet und auf längere Sicht auch die Ausbildung von weiterem Nachwuchs an unseren Filmschulen fragwürdig erscheinen läßt.

Gerade das »Mittelfeld« von kontinuierlich arbeitenden Regisseuren kommt durch diese Entwicklung mehr und mehr in Schwierigkeiten. In allen Ländern gilt die Regel, daß Meisterwerke und Spitzenfilme immer auf dem Substrat einer breiten Qualitätsproduktion wachsen. Auch in den USA verschwinden zahllose Filme auf dem Misthaufen der Geschichte und kommen nie in unsere Kinos; die wenigen Publikums-, Oscar- und Festivalerfolge basieren auf einer hohen Durchschnittsqualität der Gesamtproduktion.

 

Krise des Filmschaffens – eine Krise in den Köpfen

Nach den siebziger Jahren, in denen der Schweizer Film rundum aufblühte und sich internationale Anerkennung holen konnte, geriet unsere Produktion in eine Phase des Stagnierens. Die Stärke des Schweizer Films nach 1962 war, daß er, bald leiser, bald resoluter, kämpfte – zuerst etwas verschwommen gegen den »Konformismus« und das Kino der ältern Generation, dann klarer für ein sich ständig verbreiterndes Spektrum an Postulaten: gegen den Vietnamkrieg, den Rassismus, den Hunger und die Ausbeutung der Dritten Welt und der Natur, gegen die Zensur und die Vereinnahmung des Kinos durch das Fernsehen; für die Selbstverwirklichung des Menschen, eine freiheitliche Erziehung, die Emanzipation der Sinne, der Frauen, der unterdrückten Völker, für die Rechte von Minderheiten.

Er setzte sich auf eine eigene Weise mit bedeutenden Themen von allgemeinem Interesse auseinander.

Aus solchem inneren Feuer gewannen unsere Filme ihre Überzeugungskraft und ihren eigenen Ton, noch wo sie handwerklich bisweilen Mängel hatten.

So wie die Bewegung nach 1968 mählich in Anpassung und Resignation versandete, und steiler dann abstürzend auch die Achtziger Revolte – proportional zu deren wildem Fuchteln und dem politisch irrationalen Kampfruf des »Subito« – in politische Apathie, geriet auch der Film in eine Rückzugsphase.
Mit der allgemeinen Sinn- und Wertkrise nach dem plötzlichen Zusammenbruch der ideologischen Fronten des Kalten Kriegs, die vorher allen kleinern Geistern wenigstens eine grobe politische Orientierung geboten hatten, verschärfte sich noch diese Depression noch.

Statt daß wir aber nach den tragfähigen Stoffen und bedeutenden Gehalten gefragt hätten, statt uns Filmemachern unsere politische und ästhetische Pflicht zur Impertinenz abzuverlangen, ohne die wir künstlerisch kein Lebensrecht beanspruchen können, diagnostizierte man das Ausbleiben eines weiteren Aufschwungs rundum als Resultat von ungenügendem know how.

Entsprechend entwickelten sich Weiterbildungskonzepte, die einen großen Bogen um die gesellschaftspolitischen und ästhetischen, ja philosophischen Fragen machen, also genau die zentralen Geschäfte eines konzeptiven Filmemachers ausklammern und bei allgemeinem Messerwetzen (in Gruppenarbeit) stehen bleiben.

Was wir heute beobachten, ist, neben dem Rückzug mancher früher engagierter Kollegen, ein Desinteresse vieler Jüngerer nicht nur an der Kultur- und Filmpolitik, sondern gleichzeitig eine sich ausbreitende Tendenz zur Konformität.

Es scheint, daß die meisten nur noch den einen Traum haben, die Gesetze ihres Lieblingsgenres – oder überhaupt nur eines Genres – möglichst perfekt zu erfüllen: die Gattung und ihre Regeln als Entlastung und Schutz von den Herausforderungen der creatio ex nihilo. (An dieser Stelle hätte denn doch die Selbstzensur einsetzen sollen, würde man im BA sagen, der vor kurzem ein Projekt abgelehnt hat, unter anderem weil der Text des Exposés für die Kommission zu anspruchsvoll gewesen sei. Also bitte:) ...das Gattung und ihre Gesetzmäßigkeiten als eine Entlastung von der Aufgabe der Künste, nicht am alten Text weiterzuweben, sondern aus der Reibung an ihm einen radikal neuen vorzuschlagen.

Der Filmemacher, der im Unterschied zum Bildhauer oder Schriftsteller sich im Übermaß in Vorzimmern von Anstalten aufhalten und mit Mediokritäten herumschlagen muß, um endlich über zahllose Gesuche und Berichte auf einem ermüdenden Umweg sich zu seinem wahren Geschäft durchzukämpfen, ist inmitten einer solchen Krise, beim Fehlen jeder »Bewegung« oder wenigstens der Solidarität von Mitstreitern, besonders gefährdet: nur die stärksten Naturen halten diese Spannung auf die Dauer aus. Statt daß er sich den Horizont freihalten kann, erschlafft die Phantasie des Filmemachers im Kleinkram.

Sowohl die Filmkritik, wie neuerdings auch die Gremien, tragen zu solchem Konformismus das Ihre bei: weitab davon, den ohne Netz arbeitenden schöpferischen Potenzen Schutz zu geben und produktiver Widerpart zu sein.
Es fehlt uns heute jene mitschaffende Kritik: sogar sie beginnt, unsere Filme an erfolgbewährten Gattungsregeln zu messen, statt von uns die Gegenbilder zum Bestehenden zu verlangen, die wir, wenn anders wir nicht den Beruf verfehlt haben, der Geschichte abzuliefern hätten.

Eine ähnliche Lähmung scheint sich in den Kommissionen des Bundes einzustellen: mehr und mehr finden sich dort Kunstrichter, die nicht von ästhetischen Visionen ausgehen, sondern den Film in erster Linie als wirtschaftliches Phänomen betrachten und meinen, sich auf diesem Gebiete als dessen Krisenmanager betätigen zu müssen.
Auch da geistert die Auffassung herum, es müsse unser Filmschaffen nach dem dubiosen Kriterium der internationalen ›Konkurrenzfähigkeit‹ unseres Landes gemessen werden. Dabei hätte der BA nur die Spreu vom Weizen zu trennen und das originelle und gewagte Eigene zu ermutigen, mit dem allein wir Chancen hätten, international zu brillieren. Wie tief wir hier schon im Morast stecken, zeigt das kürzlich vorgebrachte Ablehnungsargument, ein Film von 150 Minuten könne kein Publikum finden.

Daß bei so tristen Zeitströmungen die geistige Produktivität des Schweizer Filmschaffens nicht ohne mindestens einen Katarrh davonkommen sollte, wäre weit verwunderlicher als die jetzt von allen so eifrig bearztete Krise.

 

Kritische Entwicklung in der Verleih- und Kinobranche

Wie vorherherzusehen war, ist mit der umstrittenen und von den Filmgestaltern vehement bekämpften vorläufigen Aufhebung der Einfuhrkontingentierung und vor allem mit den liberalisierten Kriterien für die Verleihtätigkeit in der aktuellen Filmverordnung (Art. 29ff.) vom Bund genau der Zustand herbeigeführt worden, den der Gesetzgeber mit dem Filmgesetz verhindern will: nämlich die unterdessen vielleicht schon unheilbare Dominanz ausländisch kontrollierter Verleiher, die die sogenannt »unabhängigen« Verleihfirmen – von Monopole-Pathé bis zur Filmcooperative – an die Wand drücken.

Dies wirkt sich umso verheerender aus, als in der Schweiz keine umsatzbezogene Steuern oder Abgaben (wie in den umliegenden Ländern) zu Gunsten der Filmförderung erhoben werden, also mit dem steigenden Umsatz auswärtiger Filme nicht automatisch auch der Förderung mehr Mittel zur Verfügung stehen.

 

Veränderungen im Bereich der elektronischen Medien

Obwohl nicht direkt zum Thema gehörend, müssen hier einige Hinweise auf die epochalen Veränderungen angebracht werden, wie sie seit dem Filmgesetz und der geltenden VO im Bereich der elektronischen Medien stattgefunden haben, und die mittelfristig schwerwiegende Rückwirkungen auf die Filmszene haben werden. Alle Entscheidungen im Bereich der Filmpolitik haben notwendigerweise dieses sich rasch wandelnde Umfeld mitzubedenken.

Mit dem (gerade in der Schweiz) steigenden Verkabelungsgrad und der Ausbreitung des individuellen Satellitenempfangs sowie mit dem Erstarken der Privatsender (wie RTL) hat eine schwerwiegende Gewichtsverlagerung eingesetzt, die generell das Konzept des Service Public bedroht und die Filmkultur noch weiterhin schwächen wird.

Eine typische Folge ist das Steigen der Lizenzpreise für Filme: hatte beispielsweise die ARD 1990 für einen Spielfilm im Durchschnitt (!) noch 400 000 DM bezahlt, mußte sie 1993 – trotz gesunkener »Marktanteile« – 550 000 DM hinlegen. Seit ARD und ZDF über Rundfunksatellit ausstrahlen, bedienen sie automatisch die ganze deutschsprachige Zuschauerschaft von der Ukraine bis London, von Mallorca bis zu den Golanhöhen... Die Konsequenzen solcher Entwicklungen für Koproduktionen, Vorabkäufe, Ankäufe, für die Abspielkaskade, die Kinosperrfristen und die Möglichkeiten des unabhängigen Verleihs müssen hier nicht ausgemalt werden.

 

Statt Analysen blühen die Geschäfte der Auguren

An Stelle einer Analyse all dieser Entwicklungen – und das hieße vor allem auch eine genaue Prüfung aller einzelnen Faktoren –, um daraus eine brauchbare Rezeptur für neue lenkende Maßnahmen und Änderungen an Förderinstrumenten abzuleiten, orakeln Unzufriedene landauf, landab, ohne Beweise vorzulegen. Eigenartig auch, wie wenig auf Modelle ausländischer Fördermethoden und auf die Erfahrungen, die damit gemacht wurden, Bezug genommen wird.

Nachdem eine Aus- und Weiterbildungsoffensive und verschiedene Experimente der Suissimage-Filmförderung keine weithin sichtbaren Knospen getrieben haben, treibt zur Zeit die dummschlaue Gremienschelte tropikale Blüten. In einem Papier von Procinema geht gar von einem »Gremienunwesen« die Rede. Statt also bessere Gremien zu fordern, wird die sichtende Tätigkeit, das Urteilen schlechthin, verächtlich gemacht.

Es ist uns keine einzige Untersuchung bekannt, in der das heute herumgebotene Gerücht, der Schweizer Film werde von den Gremien zu Tode gefördert, auch nur ernsthaft geprüft worden wäre. Die Diffamierung der Gremien bietet sich an, um die Legitimation unserer auf den wertvollen Film und eine schweizerische Filmkultur zielenden Förderung zu untergraben und die Intentionen von BV Artikel 27ter zu einer Wirtschaftshilfe für eine kränkelnde Branche – und beim SRG-Fernsehen zur Entlastung von kulturellen Pflichten – umzubiegen.

Trotz Warnungen Alfred Defagos in Vevey – »die Zeit ist nicht günstig für wirtschaftsfördernde Maßnahmen; nur wenn Sie den Kulturaspekt in den Vordergrund stellen, haben Sie Chancen, mehr Geld zu bekommen« – wird heute von mancher Seite propagiert, einen Teil des Filmförderungs-Geldes den Gremien zu entziehen und sich auf Wagnisse mit »automatischen« Methoden einzulassen.

Aus diesem Grunde ist das Weißbuch, das Frau Bundesrätin Ruth Dreifuss 1993 in Auftrag gegeben hat, für das der vorliegende Text entstanden ist, ein hoffnungsvoller Schritt vom saisonalen Kaffesatzlesen in Richtung der längst überfälligen, seriösen Analyse.

III. Gründe für die Förderung des Filmes durch die Öffentliche Hand

1. Das oberste Prinzip: Die einheimische Filmkultur soll gegenüber den marktüberschwemmenden Importen, die Qualität soll gegenüber dem Durchschnitt gestärkt werden, damit das historische Potential der Filmkunst sich weiterentwickeln und die filmkulturelle Kommunikation in unserem Land reproduziert und stimuliert werden kann.

Der Schweizer Film, wie er zu fördern sich lohnt, erbringt uns folgende Leistungen:

Nach innen / im Inland:

Film als Mittel der kollektiven Selbstreflexion durch Beschäftigung mit den eigenen Angelegenheiten, als Mittel gegen die geistige Kolonialisierung und fortschreitende geistige Aushöhlung unseres Landes.

Nach außen / im Ausland:

Film als Botschafter eines Landes, das zur Welt gehört und an ihr teilnehmen will; Vermittlung des Bildes einer ihrer Probleme bewußten, menschlicheren, weniger arroganten Schweiz.

2. Grundlage zur kontinuierlichen Filmproduktion in einem kleinen Land wie der Schweiz ist eine gewisse minimale Infrastruktur und die Möglichkeit, daß sich unabhängige Filmschaffende (die also nicht einfach, wie der Zürcher Produzent Dietrich, einen internationalen Markt mit Produkten beliefern wollen,) überhaupt entwickeln können.

3. Nur wo eine lebendige einheimische Filmkultur besteht –

• mit einer Diffusions- und Rezeptionsstruktur, wo der einheimische Film zunächst ein eigenes potentes und auf die eigene Produktion zurückwirkendes Publikum hat – immer auch eingebettet in die Rezeption der bedeutenden Werke ausländischer Provenienz;

• d.h. auch mit einer optimalen Diffusion durch unabhängige, ggf. für diese spezifischen Anstrengungen geförderte Verleiher und Kinos sowie durch das Fernsehen (wie es das Gesetz vorsieht);

• mit einem öffentlichen Diskussionszusammenhang über deren spezifischen Stoffe, Ästhetik und Produktionsprobleme, d.h. auch mit einer qualifizierten Filmkritik, filmkritischen und -historischen Fernsehsendungen; Zeitschriften, Lehrstühlen usw.

können spezifische Filmwerke, wie sie unter dem Filmgesetz förderbar sind, auch entstehen.

 

Die Basis der Exportfähigkeit ist eine solide Verankerung unserer Filme in der Schweizer Filmszene.

4. Es sollten alle wichtigen Gattungen, die in unserem Land (Kino und Fernsehen) konsumiert werden, im Prinzip auch von Schweizern beabeitet werden können.

Es darf keine Beschränkung auf »schweizerische Stoffe« stattfinden: alle Stoffe und Formen, die in der Schweizer Filmszene Resonanz finden, also auch ein »Kongreß der Pinguine« (ohne Bindung etwa an eine Forschungsexpedition von Schweizern oder einen vom Basler Zoo beringten Pinguin...) haben ihr Recht.
Das heißt nicht, daß die Schweizer Filmmacher sich ohne Verpflichtung gegenüber dem kulturellen Diskurs unseres Landes sehen dürften. Aber es ist nicht einzusehen, warum nicht auch die Schweiz einen »internationalen« Stoff zu Handen der Weltöffentlichkeit bearbeiten sollte, wo sie Autoren hat, die auf internationalem Niveau etwas zu sagen haben.

5. Filme mit »Eurocharakter« usw., die sich ihrem Produktionsaufwand entsprechend vor allem auf dem internationalen Markt bewähren müssen, dürfen die Schweizer Filmförderung nur am Rande in Anspruch nehmen und nur da, wo bei Koproduktionen ein wirkliches und gerechtes Gegenrecht besteht.

6. Im internationalen Kontext: Wenn in ganz Europa Autorenfilme und genuin nationale Produktionen (also Nicht-Europuddings, Nicht-Weltmarktware) gefördert werden, muß die Schweiz gleichziehen: sie kann nicht erwarten, daß von ausländischen Filmförderungen, die sich ja eben auch nur kompensatorisch als Schutzeinrichtungen vor den internationalen Konformismen verstehen, Schweizer Filme und Produzenten sozusagen als »Entwicklungshilfe« gefördert werden.

 

Das Ausbleiben einer eigenen Schweizer Förderung zwänge die einheimischen Filmschaffenden dazu, entweder nur noch »exportierfähige« Waren herzustellen oder ihre Produktionsbasis, ja gar den Wohnsitz ins Ausland zu verlagern. Mit anderen Worten: Die Filmförderung muß angesichts der Bedrohungen »Waffengleichheit« gewährleisten.

Filmförderung gehört heute zum Lebensstandard einer Kulturnation.

IV. Zielsetzungen für die Schweizer Filmförderung

Grundzielsetzung: Die Bundesfilmförderung soll subsidiär eine eigenständige Schweizer Filmproduktion gewährleisten und das Zustandekommen von Filmwerken erleichtern, die sich aus unserer Sicht mit den gewählten Themen auseinandersetzen.

Die Fördermaßnahmen müssen ausgehen vom Potential an hiesigen Filmschaffenden.

a. Kriterien für Projekte

• Qualität

• Vielfalt (Spiel-, Experimental-, Trick- und Dokumentarfilm) – keine Gattung darf die anderen erdrücken.

• Nach wie vor ist die Breitenförderung nicht zu vernachlässigen (die Pyramide ist so hoch wie sie an der Basis breit ist...), aber: Überregionale Bedeutung der Projekte (d.h. in der Regel keine Nachwuchsfilme, wo die Kantone tätig sind)

• Kontinuität der Arbeit ausgewiesener Filmschaffender (Autoren, Produzenten, Filmtechniker)

• Komplementarität (zum ausländischen Angebot und zu Fernsehformen)

• Erfahrung und Qualifikation des Produzenten.

• Finanzierungs- und Auswertungschancen.

• Großprojekte für den internationalen Markt dürfen nicht unsere Förderung aussaugen (unsere Förderung muß jedesmal einen wesentlichen Beitrag am Zustandekommen eines Projektes leisten können – eines Filmes, der anders nicht realisiert werden könnte.

b. Kriterien für die Förderung oder Prämierung von Produzenten

• Regelmäßige Beiträge zum Schweizer Film

• Fachliche Qualifikation, berufliche Erfahrung

• Unternehmerische Innovation

• Effizienz und Integrität

• Qualität der Promotions-, Marketing- und Verkaufsaktivitäten seiner Produktionen und Koproduktionen.

c. für die Diffusion

(siehe das Kapitel Verleih/Kino auf Seite *.)

 

V. Methoden der Förderung

Alle, die den Film nutzen und vom Film wirtschaftlich profitieren, haben einen angemessenen Beitrag zur Stärkung des einheimischen Filmschaffens zu leisten.

Nach wie vor hat der Bund auf allen Ebenen Nachwuchsförderung zu betreiben.

Projektentwicklung
auf Grund eines Exposés und Budgets für die Ausarbeitung eines Drehbuchs oder der Drehvorlage;

Herstellungsbeiträge (bis maximal 750 000 Fr., sofern der Schweizer Anteil größer als 49% ist, s. unten Kapitel Koproduktionen)

Neu einzuführen: Vorauszahlung der im Budget ausgewiesenen Entwicklungskosten als Vorauszahlung des in Aussicht gestellten Herstellungsbeitrags bis max. 20% des Budgets oder Fr. 50 000 Franken, mindestens aber von 10% des in Aussicht gestellten Beitrags, und zwar à fonds perdu

Prämien
Die Prämien für Qualität und Rang der Werke oder einzelner Leistungen müssen auf jeden Fall erhalten werden.
Zweck wie bisher: Weiterführung der Berufs- und Produktionstätigkeit der Produzenten, Gestalter und Techniker. Überbrückung der Zeit zwischen zwei Produktionen. Die Prämien sind in der Regel in die künftigen Finanzierungen einzubringen.

1. Studienprämien

2. Prämien mit fester Höhe (aufteilbar auf Techniker, Realisatoren, Produzenten)

3. neu: zusätzlich Produzentenprämien z.B. für 2 bis 3 überzeugende Produktionen, also für die Arbeit des Produzenten, nicht für einen einzelnen gelungenen Film (zwei Prämien im Jahr zu 100 000)

Die Prämien sollten in der Öffentlichkeit besser bekanntgemacht werden (Feierlichkeit, Vorspann, Radio und Fernsehen)

• Sollte ein Filmpreis geschaffen werden, dann nur aus zusätzlichen Geldquellen und mit einer respektablen Fachjury. Hier läge ein Spielfeld für Sponsoren.

Automatische Förderung
Eine automatische Förderung auf Grund von Erfolgskriterien ist denkbar – sie kann aber nicht aus dem Filmkredit, sondern muß aus einem eigenen Fonds bezahlt werden, der aus einer Branchenabgabe geäufnet werden müßte und eventuell vom Bund subventioniert werden könnte. (Siehe dazu die grundsätzlichen Anmerkungen zur Subventionsproblematik S. *)

Eine Stärkung des Produzenten durch eine Neuordnung des Filmkredits/Leitbilds F darf nicht eine Schwächung der Position der Filmmacher oder Regisseure mit sich bringen.

Verleih- und Kinoförderung:
Ziel muß hier sein die Risikosicherung oder Anschubfinanzierung, um den Anreiz zu guter Lancierungsarbeit zu steigern. Eventuell wäre ein Rückzahlungsmodus zu studieren (es liegen valable Modelle vor wie jenes von »Zürich für den Film« vom März 85).
(Siehe weiter unten Seite *)

Generell sollte vor allem die Promotion für den unabhängigen, europäischen und den Schweizer Film ausgebaut werden, als Gegengewicht zu den Kampagnen der internationalen Großproduktionen und als natürliches Korrelat zur Produktionsförderung.
(Siehe dazu das Kapitel über Kinoförderung Seite *)

• Für Inlandpromotion ist dazu verstärkt das Schweizerische Filmzentrum einzusetzen (Pläne bestehen dort schon, die auf Zuschauermotivation und die politische Legitimation unseres Filmschaffens zielen).

• Was die Auslandpromotion anbelangt, müßte diese unbedingt in einer eigenen Studie untersucht werden, um zu einem neuen Konzept zu gelangen. Die gegenwärtige Konstellation Pro Helvetia / Schweiz. Filmzentrum wird allgemein als unbefriedigend empfunden.

• Weiterhin Marketing-Förderung durch den Bund.

• Intensivierte Förderung des Filmschaffens durch das Fernsehen (siehe unten das Kapitel zum Fernsehen, Seite *).

 

VI. Internationale Koproduktionen

Internationale Koproduktionen dürfen die Schweizer Förderung nur insoweit beanspruchen, als

• die gesprochenen Gelder im wesentlichen wieder in die Schweiz zurückfließen;

• das Partner-Land realiter Gegenrecht hält (im Verhältnis zu seiner Wirtschaftskraft / seinem Einzugsgebiet);

• die Fördersummen im Verhältnis zum Anteil der Schweiz an der Produktion abgestuft werden (zB. 50% Schweizer Anteil – max. 600 000.-; 40% – max. 500 000; 30% – max. 400 000.-), und

• der Anteil der Schweiz mindestens 20% der gesamten Finanzierung beträgt.

 

VII. Zu Fragen der Verleih- und Abspielförderung

1. Verleihförderung

Auch im Bereich der Diffusion der Filme ergeben sich aus der Mehrsprachigkeit und dem kleinen Auswertungsgebiet spezifische Probleme für den Schweizer Filmmarkt. Zumal angesichts der Deregulierung (Abschaffung der Kontingentierung und Kriterien für die Verleihtätigkeit) zeichnet sich heute schon eine Verarmung des Angebots an Filmen ab: wo sie keine großen Umsätze erwarten lassen und nicht im Rahmen einer internationalen Werbekampagne europaweit gleichzeitig lanciert werden, haben sie kaum mehr Chancen.

Die Konzentration auf wenige, dafür mit großem Trara und Millioneninvestitionen lancierte Filme schwächt damit noch zusätzlich die Chancen von Werken, die sich an ein cinéphiles und spezifisches Publikum wenden: weil sie bei den Propagandamitteln nicht mitziehen können. Wenn heute für »große«, d.h. teuer lancierte Produktionen Großplakate ausgehängt und sogar im Fernsehen Werbespots placiert werden, zeigt sich, daß hier der Studiofilm ins Hintertreffen geraten muß.

In den vergangenen Monaten sind die unabhängigen Verleiher in höchste Bedrängnis geraten: ihr Anteil am Umsatz ist dramatisch von 45% auf etwa 25% zurückgegangen, und wenn diese Entwicklung anhält, werden wir auch in unserem Land bald keine unabhängige Schweizer Verleiher mehr haben, die uns allein ein breites Angebot sichern können.

Die vier Majors bekämpfen sich gegenwärtig bis aufs Messer. Ihren Marktanteil von rund 80 Prozent versuchen sie, auf Kosten der unabhängigen Verleiher zu vergrößern, mit dem Fernziel, 98 Prozent des Marktes zu erobern – wie es der Präsident der US-amerikanischen Filmindustrie öffentlich verkündet hat. Dies wird katastrophale Folgen nicht nur für den Schweizer, sondern ganz allgemein für den Film aus europäischen oder kleineren Ländern haben. Diese sind auf die Unabhängigen angewiesen, um überhaupt auf den Markt zu kommen.

Aus einer schwer verständlichen Loyalität sitzen die Unabhängigen zusammen im selben Verband mit den Majors, wo jene den Ton angeben. Ihre strukturellen Probleme haben sie wegen der Majors: die von uns immer wieder kritisierten Deregulierung des Filmmarktes durch den Bund hat zum vorhergesagten Verdrängungskampf geführt, der heute die Unabhängigen – und damit die Kinokultur in der Schweiz – existenziell bedroht.

 

Heute werden von Verleiherseite Stimmen laut, die aus Kulturgeldern – und damit auf Kosten der Filmproduktion – die wirtschaftliche Not der Unabhängigen lindern möchten. Dies käme den Majors gerade zupaß; es würde aber unsere Filmkultur erst recht in ihrem Mark treffen.

Die Produktion eigener Filme ist, wie die Erfahrung zeigt (und wie dies auch in der Botschaft des Bundesrates zum Filmgesetz nachzulesen ist) die beste Garantie für eine eigenständige Filmpolitik eines Landes.

Was die unabhängigen Verleiher also wirklich brauchen, sind strukturelle Hilfen, nämlich Schutz durch Handelsschranken oder – sollte dies nicht möglich sein – Besteuerung der Gewinne der Majors (direkt oder an der Kinokasse). Sollte aus übergeordneten Interessen (gatt, eu usw.) dennoch geflickschustert werden müssen, so muß den unabhängigen Verleihern großzügig aus Geldern des Volkswirtschaftsdepartementes geholfen werden, das für die heutige Situation verantwortlich ist.

Hier sollte daher die Kulturpolitik und die Förderung der öffentlichen Hand lenkend und korrigierend eingreifen. Sie könnten etwa garantieren, daß Kinofilme wie »Palaver, Palaver« oder »Der Kongreß der Pinguine« landesweit mit Plakaten im Weltformat und mit professioneller Medienbetreuung lanciert werden könnten, um den us-amerikanischen Propagandamitteln Paroli bieten zu können.

 

1.1 Zweck

Die Verleihförderung sollte

• das Risiko bei der Lancierung von wertvollen Filmen mindern und damit die Vielfalt des Angebots erhalten

• die Position des Schweizer Spiel- und Dokumentarfilms verbessern

• verbesserte Werbemaßnahmen für diese Filme ermöglichen, um ihre Position gegenüber den groß lancierten Millionenfilmen zu stärken

• die Untertitelungskultur in der Schweiz erhalten (d.h. keine Übernahme zB. von Synchronisationen, nur weil es bequemer oder billiger ist)

 

1.2 Methoden

Im Prinzip könnte man nach dem bewährten Modell der igv-Förderung verfahren.

Grundsätzlich wären (relativ hohe) Defizitgarantien bis zur Hälfte (oder sogar 3/4) des Verleihkostenbudgets anzustreben;

Förderung von Schweizer Filmen mit Verleihbudgets bis 60 000 Franken;

Dies auf begründetes Gesuch;

Mit Erreichen einer bestimmten Zuschauerzahl verfällt der Anspruch automatisch.

 

2. Abspielförderung

Mit dem Landkinosterben verschwinden auch mehr und mehr Möglichkeiten, unsere für ein Schweizer Publikum geschaffenen Filme im ganzen Land an die Leute zu bringen. Ohne eine tüchtige und von den Zuschauern intensiv genutzte Abspielstruktur bliebe letztlich auch die Förderung der Produktion ohne Sinn.

Ein attraktives Kino kann diese Funktion auf die Dauer nur erfüllen, wenn ihm ein breites Spektrum an aktuellen und guten Filmen verfügbar ist, die in guter Projektions- und Tonqualität vorgeführt werden können, und wenn am Ort eine gewisse Filmbildung und Filmkultur gepflegt wird.

Viele Landkinos bekommen vielbeachtete Filme (von Jurassic Park bis Schweizermacher) erst, wenn diese nicht mehr das Tagesgespräch sind (in den überregionalen Zeitungen, den (Programm)-Illustrierten, in Radio und Fernsehen, in Filmzeitschriften wie Zoom, usw.)

In unserem Land spielen die alternativen Spielstellen für eine Vielzahl von Filmen eine lebenswichtige Rolle. Diese Aktivitäten, die oft von kommunalen Beiträgen unterstützt werden und ohne den Idealismus und die Gratisarbeit ihrer Betreiber nicht überleben könnten, dürfen durch eine Kinoförderung keinesfalls benachteiligt werden.

 

A. Kinoförderung durch Kopiensubventionen

A.1 Förderzweck

Die Förderung der Attraktivität lokaler »Qualitäts-Kinos« – nicht nur, aber besonders auch auf dem Lande – durchaus auch durch Kopienförderung von Reißern, um damit das Qualitäts-Kino als Ort zu profilieren, wo sich »Kinowelt« abspielt – kann für den Bund nur ein Mittel zum Zweck sein: als Substrat für das Spezifische, das er fördern soll und muß.

Ziel kann nicht sein, ein bloß mit Erfolgsfilmen betriebenes Geschäft zu subventionieren; es muß für die Filmkultur unseres Landes und das einheimische Filmschaffen etwas herausspringen, wenn der Bund helfend tätig werden soll.

Eine eventuelle Kopienförderung ist daher davon abhängig zu machen, daß das betreffende Kino außergewöhnliche filmkulturelle Leistungen erbringt. Im übrigen sollte Kinoförderung in erster Linie Sache der Kommunen und eventuell der Kantone sein.

 

Kriterien für Subventionen an Kinos könnten sein:

Neben den normalen Angeboten, in vorbildlicher Ton- und Bildqualität, keine Pausen während des Hauptfilms...
Gut gemachte Programmierung – d.h. auch gute Propagierung – von (bspw.)

Schweizer Filmen (besonders auch Dokumentarfilme, Kurz- und Trickfilme)

regelmäßigen Beiprogrammen (Kurz-, Trick- und Experimentalfilme)

Filmen des Cinélibre-Angebots (d.h. von wichtigen, nicht von einem Verleiher ins Programm aufgenommenen Filmen) und des Trigon-Verleihs

EFDO/IGV-Filmen

Übernahmen von Filmzyklen des Cinélibre oder von PH-Austauschprogrammen

der Solothurner Auswahlschau

Animationsinitiativen (Autoren einladen, Premieren, Schülerprogramme usw.)

Zyklen zur Filmgeschichte

Unterstützung lokaler Filmklubs

usw. usf.

 

Solche Aktivitäten haben gerade in ländlichen Gegenden als Beiträge zum lokalen Kulturleben besonderes Gewicht.

 

A.2 Finanzierung

Eine Förderung der Schwachen auf Kosten des Steuerzahlers, während die Starken den Gewinn einstreichen, macht keinen Sinn.

 

Eine neue, zusätzliche Finanzierungsquelle ist unumgänglich, da – außer bei entsprechender Erhöhung – aus dem Filmkredit für diesen neuen Zweck keine Gelder zur Verfügung stehen können.

Wenn die Kinobranche (zum Wohle der Filmkultur) am Erhalt einer weitgestreuten Kinoabspielstruktur interessiert ist, sollte es leicht möglich sein, durch einen Finanzausgleich (wie in umliegenden Ländern) Mittel dafür zu mobilisieren.

denkbare Formen wären:

Abgabe bei Erfolgsfilmen – zum Beispiel ab dem 50'000 Besucher

allgemeine Kinoabgabe: umsatzbezogen (wie brd) oder als Taxe (wie in Frankreich; Kinozehner o.ä.)

Solche Finanzierungsquellen könnten auf gesetzlicher Ebene oder auch als Branchenselbsthilfe eingerichtet werden.

 

Subsidiarität auf Grund von Selbsthilfe

Ein solcher neuer Fonds wäre die notwendige Selbsthilfe der Branche als mögliche Basis für eine subsidiäre Förderung durch den Bund. Denn erst wenn sich die Branche in einer echten kulturellen Not befindet, aus der sie sich mit solidarischen Aktionen nicht mehr hinauswinden kann, kann ja eine Förderung einsetzen. Zu Aktionen, die die Branche kulturpolitisch glaubwürdig machten, gehört selbstverständlich auch die Beseitigung von kartellistischen Auswüchsen.

Um Kulturgelder beanspruchen zu können, muß die Kinobranche das bloß geschäftliche Denken überschreiten und kulturell verantwortlich handeln.

Grundsätzlich sind die Gemeinden für die Förderung von Kinos zuständig, dann subsidiär die Kantone.
Ohne zumutbare Anstrengungen der Kommunen, um seine Kinos – auf Grund eines filmkulturellen Leistungsausweises – zu fördern (oder auch um die Nutzung des Saals durch andere lokale Veranstalter zB. von Konzerten abzugelten), sollte der Bund nicht tätig werden. (In Fremdenverkehrsorten wäre die Kurtaxe einzubeziehen).

 

A.3 Methodisches

Für die notwendige Bindung der Subventionen an die ausgewiesene Leistungsqualität der Empfänger muß ein Punktesystem für die oben genannten Kulturaktivitäten der Kinos und ein – wie auch immer summarisch – bewertendes Gremium eingerichtet werden.

Die Frage ist sodann, wo die Entscheidungskompetenzen liegen, d.h. ob eine Kompetenzdelegation vom bak an private Institution (Stiftung usw.) möglich ist (bei igv ist dies zB. nicht der Fall). Dies insbesondere auch wegen der Rekurs- und Beschwerdeinstrumente.

A.4 Weitere Gesichtspunkte

Falls eine Kopienförderung stattfindet, muß sie zugleich der Stärkung unserer Labors dienen.

Die Zahl der Kopien in der Schweiz sollte aus Gründen des Umweltschutzes nicht zu hoch werden; d.h. es wäre unsinnig, einen Film an 10 kleinen Orten mit Hilfe der Förderung nur zwei Wochen zu spielen und dann mit diesen Kopien noch bei ein paar Einzelvorstellungen da und dort. Solche nicht abgespielten Kopien dürften außerdem keinesfalls in halbleer betriebenen Multiplexen enden, die die Förderbestimmungen gar nicht erfüllen.

B. Investitionshilfen

Da die Attraktivität von Landkinos und filmkulturell aktiven Spielstellen auch von deren technischer Ausrüstung abhängt, wären hierzu Förderinstrumente denkbar. Besonders da, wo denkmalschützerische Intentionen besondere Renovierungskosten verursachen. Auch hier wären zunächst kommunale Ressourcen einzusetzen, aber subsidiär auch Bundesmittel denkbar.

C. Qualitätsprämie für Kinos

Es wäre sinnvoll, jährlich 1-3 Kinos, die hervorragende Beiträge für die Filmkultur geleistet haben, mit einer Prämie (Diplom oder Plakette und zB. 10 000 Fr.) auszuzeichnen – in der Regel auf Antrag: mit Leistungsnachweis, nach einem Punktesystem.

 

VIII. Grundsätzliche Fragen zu Subventionen unter dem Filmgesetz

(Exkurs zur rechtlichen Problematik »automatischer« Förderungen)

Das FiG ist kein Gesetz zur Förderung der normalen Wirtschaftstätigkeit der Filmbranche: es erlaubt zB. sicher nicht die Förderung einer »Nötzli-Kaskade« (ein relativ erfolgreicher Nötzlifilm, der den nächsten nach sich zieht, ohne daß die Notwendigkeit der Förderung im Hinblick auf den Wert des Projekts und die Bedürftigkeit des Produzenten geprüft und das Gesuch gegen andere, konkurrierende Projekte abgewogen würde.)

Eine Referenzfilmförderung, wie sie etwa von arc oder in der Gruppe neue wege skizziert worden sind, könnte unter dem FiG höchstens – auf Gesuch hin – den Zugang eines Produzenten zur Förderung eines bestimmten »wertvollen« Filmprojekts erleichtern. Dessen Qualität aber könnte wiederum nur durch einen Ausschuß, der das Departement gutachterlich berät, geprüft werden. Ein Ausschluß von Projekten von der Bundesförderung, ohne daß eine Qualitätsprüfung stattfindet, ist unter dem FiG nicht möglich.

De facto ist schon heute bei den Herstellungsbeiträgen die Bezugnahme auf das bisherige Schaffen des Antragstellers ein wesentliches Element der Entscheidung.

Um eine »wertfreie« Referenzfilmförderung zu installieren, brauchte man ein neues Gesetz (oder eine Erweiterung des FiG), das nicht mit Wertkriterien lenkend in den Marktprozeß eingreift, sondern zB. den Erhalt der Branche – aus kultur- und/oder staatspolitischen Gründen – zum Ziele hätte.

Dabei könnte, wie in umliegenden Ländern, eine Filmförderungsinstitution öffentlich-rechtlichen oder privaten Charakters als Subventionsempfänger eingerichtet werden, die aber – nach dem Subsidiaritätsprinzip – wesentlich aus Mitteln der Branche alimentiert werden müßte; der Bund könnte dazu regelmäßige Zuschüsse leisten und sich eventuell mit Anschub-Beiträgen engagieren.

Das Prinzip der Gruppennützigkeit sollte dabei auch in der Schweiz gelten:

• Fernsehen und Pay-TV fördern den Fernsehfilm und den Kinofilm (den sie benutzen)

• Der Verleih und das Kino fördern den Kinofilm und die Abspielstrukturen

• Die Videobranche fördert die Videoabspielstrukturen

Die »Buchhaltung« und das Verteilen solcher Gelder brauchte auf jeden Fall eine neu zu schaffende Stelle – sei es bei der Sektion Film oder eben bei einer neuen Institution, und ruft nach einem Reglement, das Beschwerdemöglichkeiten vorsieht, da wo Prinzipien wie die Gleichbehandlung der Konkurrenten usw. verletzt werden.

Es stellt sich auch das Problem der Abgrenzung zu Produktionen, die zur Förderung nicht zugelassen werden können – entweder, weil sie keine Förderung brauchen, oder weil sie »unter der Gürtellinie« liegen. Aber eben: wie will man diese Grenzlinien ziehen, ohne wieder zu einem selektierenden Gremium zu greifen?

 

IX. Neue Konzepte für die Gestaltung der EFK und der Ausschüsse

Die Frage erfordert ein eigenes, detailliertes Studium, wozu wir in diesem Zusammenhang nicht in der Lage sind. Statt am Bestehenden herumzubasteln, wären zuerst einzelne Modelle, die im Ausland oder in anderen Branchen sich bewährt haben, zu untersuchen, um Probleme, wie sie heute bestehen, zweckrational zu lösen.

Im Hinblick auf eine Revision des Filmgesetzes wäre vor allem die historisch bedingte Zusammensetzung der EFK neu zu überdenken.

Es wäre bei der EFK und den Ausschüssen eine Amtszeitbeschränkung von 8 Jahren vorzusehen.

Insgesamt ist heute der Einfluß des Fernsehens auf die Filmpolitik und Förderung des Bundes überdimensioniert, während die SRG und EVED umgekehrt jede Einflußnahme durch Filmfachleute kategorisch verweigern (keine Vertreter des Films in den Gremien der SRG, kein Eintreten auf unsere Postulate bei der Abschaffung der Kulturabteilung durch Schellenberg im vergangenen Herbst, betreffend eine Filmsendung pp.)

Es wäre auch das Problem zu studieren, daß ein wesentlicher Teil der Filmpolitik heute von der Medienpolitik des EVED gemacht wird, ohne daß die kulturpolitischen Interessen der Filmseite (außer bei den relativ unverbindlichen Anhörungen) sich artikulieren könnten.

Es bedürfte daher einer – eventuell interdepartementalen – Medienkommission des Bundes, die längerfristige Entwicklungen (wie zur Zeit Fensterkonzessionen für ausländische Kommerzprogramme) in den Griff bekommen könnte, damit die Filmförderungsintentionen des Bundes nicht durch eine falsche Fernsehpolitik unterlaufen wird.

 

X. Das Fernsehen im System der Schweizer Filmförderung

Eine Förderung des Courant normal beim Fernsehen (im Sinne von Reportagen, Alpenpensionat oder gar helvetischen Situations-Komödien vom Schlage eines »Tobias«) aus Kulturförderungsmitteln des Bundes kann nicht in Frage kommen.

Vielmehr hat das Fernsehen als Gegenleistung für die Nutzung des Kinofilms und für die Konkurrenzierung des Kinowesens weiterhin eine kulturpolitische Aufgabe im Bereich Film zu übernehmen, wie sie bisher unter dem Rahmenabkommen praktiziert wurde.

Diese Mittel könnten eventuell vom Bund aus den Gebühren vorabgezogen und in die Bundesfilmförderung umgeleitet werden (siehe dazu weiter unten S. *).

In der BRD: das Film-Fernsehabkommen (1974) zwischen der Filmförderungs-Anstalt des Bundes und ARD/ZDF ist nicht im Filmförderungsgesetz (FFG) enthalten, da es freiwillig praktiziert wird – im Nachgang zu den parlamentarischen Plänen von ca. 1965, das Fernsehen zu einer Abgabe von 40 000 DM pro ausgestrahltem Spielfilm zu verpflichten.

Das Film-Fernseh-Abkommen (zur Zeit pro Jahr 14,25 Mio DM) ist bei den deutschen Kinobesitzern mit einem gewissen Recht umstritten, weil die betreffenden Filme im Kino wenig einspielen und somit mit dem Kino-15er hauptsächlich das Fernsehen unterstützt wird. [Das Fernsehen erhält ja eine Leistung, die es nicht einfach auch durch Lizenzerwerb erhalten kann, da diese Filme ohne diese Konstellation Fernsehen/Filmförderung im Bereich der Filmwirtschaft gar nicht entstanden wären, somit diese Filme erst recht ganz vom Fernsehen hätten hergestellt werden müssen.] Zudem wird moniert der starke Einfluß der Redaktionen auf die Filme, ein stärkerer als jener der FFA-Gremien und somit der Kinowirtschaft).

 

Wie in der BRD müßten auch die privaten Fernsehveranstalter bei uns konsequent in das System der Förderung der Filmkultur (wie überhaupt in den Kulturauftrag) eingebunden werden. Es ist daher in allen Konzessionen die Zusammenarbeit mit der Schweizer Filmwirtschaft und der Kulturauftrag einzubauen, und bei Kanälen, die Spiel- und Dokumentarfilme ausstrahlen, ggf. ein Anteil an Schweizer Filmen (sowie an europäischen) explizit festzulegen.

Abzustellen ist auf den Artikel 55bis, Abs.2 der BV:

2 Radio und Fernsehen tragen zu kulturellen Entfaltung, zur freien Meinungsbildung sowie zur Unterhaltung der Zuhörer und Zuschauer bei. Sie berücksichtigen die Eigenheiten des Landes und die Bedürfnisse der Kantone. Sie stellen die Ereignisse sachgerecht dar und bringen die Vielfalt der Ansichten angemessen zum Ausdruck.

weiter auf Artikel 3 RTVG:

1 Radio und Fernsehen sollen insgesamt

a. zur freien Meinungsbildung, zu einer allgemeinen, vielfältigen und sachgerechten Information der Zuhörer und Zuschauer sowie zu deren Bildung und Unterhaltung beitragen und staatsbürgerliche Kenntnisse vermitteln;

b. die Vielfalt des Landes und seiner Bevölkerung berücksichtigen und der Öffentlichkeit näherbringen sowie das Verständnis für andere Völker fördern;

c. das schweizerische Kulturschaffen fördern und die Zuhörer und Zuschauer zur Teilnahme am kulturellen Leben anregen;

d. den Kontakt zu den Auslandschweizern erleichtern und im Ausland die Präsenz der Schweiz und das Verständnis für deren Anliegen fördern;

e. die schweizerische audiovisuelle Produktion, insbesondere den Film, besonders berücksichtigen;

f. die europäischen Eigenleistungen möglichst breit berücksichtigen.

...

sowie für die SRG auf Art.26, Abs. 2 und 3 RTVG:

2 Die SRG berücksichtigt in der Gesamtheit ihrer Programme die Eigenheiten des Landes und die Bedürfnisse der Kantone. Sie trägt durch ausgewogene Programmgestaltung insbesondere bei:

a. zur kulturellen Entfaltung, namentlich durch die möglichst breite Berücksichtigung schweizerischer Eigenleistungen, und

b. zur freien Meinungsbildung, namentlich durch sachgerechte Information, wobei sie die nationale und die sprachregionale Ebene vorrangig berücksichtigt.

3 In ihren Programmen berücksichtigt die SRG die schweizerische audiovisuelle Produktion.

 

Das Fernsehen sollte zur Filmkultur demnach in dreierlei Hinsicht beitragen:

• Den Zuschauer zur kulturellen Entfaltung anregen

• Rahmenabkommen (»schweizerische Eigenleistungen«)

• Auftragsproduktionen (»schweizerische audiovisuelle Produktion«)

Gerade in unserem kleinen Land mit vier Sprachen und dementsprechend kleinen Ressourcen kommt der Kulturfunktion des Fernsehens eine hervorragende Bedeutung bei der Revitaliserung unserer Filmkultur zu.

Es kann hier nicht der Ort sein, ausführlich dieses Problemfeld zu untersuchen und darzulegen: es wäre ein eigenes Gelbbuch wert. Einige zentrale Aspekte müssen daher genügen.

Wir möchten aber betonen, daß beim Fernsehen ein großes Potential für Filmfördermaßnahmen liegt. Dieses Potential darf angesichts der Krise des Filmwesens nicht ungenutzt bleiben, will die Filmförderung des Bundes nicht unglaubwürdig werden.

 

A. Den Zuschauer zur kulturellen Entfaltung anregen

Film und Fernsehen können nicht anders denn als zwei Elemente einer audiovisuellen Gesamtkultur gesehen werden.

Fernsehen ist einerseits Journalismus (die Filme wären im Vergleich dazu die Bücher).

Es ist aber auch ein technisches Mittel für die Verbreitung von Werken – bis ins letzte Bergtal zu jenen, die ohne dieses elektronische Medium von der Kultur abgeschnitten wären. Deswegen darf der Staat bei der Konzessionierung von zusätzlichen Programmen niemals tolerieren, daß damit die Freiheit der künstlerischen Äußerung und die Chancen des Zuhörers oder Zuschauers, an der ganzen Breite des kulturellen Geschehens zu partizipieren, eingeschränkt, statt erweitert werden.

Das Fernsehen produziert und prägt Sehgewohnheiten; der Film kritisiert diese, wo er etwas zu sagen hat, notwendigerweise: das ist sein Geschäft und darin besteht sein Lebensrecht.

Der verfassungsmäßige Auftrag des Fernsehens schließt aber auch ein, daß das Fernsehen als das genuine Partnermedium des Films schöpferische und kritische Beiträge zum filmkulturellen Geschehen hervorbringt. So wie für den Komponisten das Radio, sollte das Fernsehen für den Filmmacher ein Forum und Arbeitsfeld für seine Entfaltung sein.

 

B. Rahmenabkommen (»schweizerische Eigenleistungen«)

Unter dem Rahmenabkommen sollten, nach der ursprünglichen Intention zu Zeiten Leo Schürmanns, Filme, wie sie der Bund fördert, aber auch andere, die in der Schweiz entstehen,

• mit einem (heute in der Regel geringen) Produktionsbeitrag des Fernsehens gefördert werden;

• mit der Ausstrahlung dem hiesigen Publikum zugänglich gemacht und nahegebracht werden.

Die unter diesem Titel durch die SRG mitgeförderten Filme entstehen (in der Regel) für den Kinobereich und sollten von ihr dem Zuschauer, der ein Recht darauf hat, in unverstümmelter Form übermittelt werden.

Unter dem vor einem Jahr neu abgeschlossenen Rahmenabkommen betreibt die SRG nun eine neue Politik, die von der Filmseite nicht hingenommen werden kann:

• Drastische Senkung der Ankaufspreise für Schweizer Filme durch bloß noch regionalen Rechteerwerb (in den meisten Fällen auf 80 bis 135.-/Minute statt 270/Min.)

• Massive Verschlechterung der Bedingungen des Produzenten bei Kofinanzierungen und namentlich Koproduktionen (Umfang der Rechte, Auswertungsfristen, Sperrfristen).

• Zwang zur Ablieferung für das Fernsehen kastrierter Versionen als Bedingung für das Eingehen einer Zusammenarbeit;

• Tendenzieller Ausschluß sogenannt »ausländischer« Stoffe.

• Weigerung, im Sendeschema die Ausstrahlung abendfüllender Filme zur Hauptsendezeit vorzusehen (mit Ausnahme, laut Studer, ab und zu eines »besonders attraktiven« Films).

 

C. Auftragsproduktionen (»schweizerische audiovisuelle Produktion«)

Mit 20 Millionen Franken fließt ein – verglichen etwa mit der BRD ganz geringer – Betrag des Fernsehbudgets in die Filmwirtschaft.

Auftragsproduktionen an Produktionshäuser der audiovisuellen Industrie, aber auch an die freischaffenden Autoren-Produzentinnen sind eine wichtige Existenzgrundlage für die Kontinuität des Filmschaffens und der Produktion in unserem Land.

Würde die SRG die Konzessionsaufträge intensiv wahrnehmen, also die geforderte »enge Zusammenarbeit mit der schweizerischen Filmwirtschaft« realisieren und die »Vergabe von Aufträgen an die audiovsuelle Industrie« optimieren, würde sich die Lage unseres Filmschaffens schlagartig verbessern.

 

Aktuelle Forderungen/Ideen von Seiten des Films:

• alle Fernseh-Veranstalter, also auch die Privaten, sollen zur Förderung der Schweizer Produktion entsprechend ihrer Finanzkraft beitragen.

• Qualitätsprämien für hervorragende Fernsehwerke und Sendegefäße (Diplom, kein Geld)

• Der Konzessionsgeber muß Druck auf die SRG ausüben: Spieldauern, Sendeplätze, Breitenförderung, optimale Werbung (Programmzeitschriften, Verweise (Trailers) auch auf Sendungen anderer Kanäle wie S+ und 3Sat, TV5, und auf zweisprachige Sendungen der andern Sprachregionen)

• Schaffung eines paritätischen Entscheidungsorgans für Rahmenabkommen-Filme

• Schaffung einer medienpolitischen Perspektiv-Arbeitsgruppe

• Eine qualifizierte und kritische Filmsendung zu guter Sendezeit.

• (Wieder)einrichtung je einer Kulturabteilung in allen drei Regionen und Besetzung durch im Kulturleben anerkannte Persönlichkeiten, die auch die Zusammenarbeit mit dem Filmschaffen zu gestalten und entwickeln hätten.

Sollte die SRG beim derzeitigen Streit über die Interpretation des Rahmenabkommens nicht einlenken, wären für sie als Förderin des Schweizer Films künftig neuartige Modelle zu entwickeln, wie

1. Schaffung eines paritätischen Entscheidungsorgans EFK–Film–SRG zur Auswahl der Rahmenabkommen-Projekte;

2. Errichtung einer Stiftung für die Schweizer Filmkultur am Bildschirm, (die zB. für 15 Mio. im Jahr bspw. 26 Abende betreut), finanziert aus Gebührensplitting und ev. ausl. Kabel- und oder Leerkassettengeldern, mit potenter eigener Werbung in den Zeitungen, Kinos, mit Plakaten usw.) – Diese Stiftung würde mit Vorabkäufen, Mitfinanzierungen und Koproduktionen die Schweizer Fernsehrechte erwerben und ggf. an die SRG weiterverkaufen.

3. Fonds zum Freikauf der Schweizer Filme von Unterbrecherwerbung, wenn es nicht gelingt, die SRG auf die integrale Ausstrahlung zur Prime Time auch von weniger »attraktiven« Schweizer Filmen zu verpflichten;

Zürich, den 31. März 1994 – Verfaßt durch eine Arbeitsgruppe des VSFG.